Irgendwie finden wir oft auf Umwegen zu unseren Reisezielen. Entdecken eine tolle Unterkunft und gelangen so an Orte von denen wir noch nie gehört haben. So wie wir vor vielen Jahren über ein Foto eines kleinen Hauses aus schwarzem Stein, direkt an den Klippen des Atlantiks gebaut, auf die Azoreninsel Pico gestoßen sind. In der Grotte Della Civita wohnt man nicht einfach in einem Hotelzimmer, nein, man wohnt in einer der alten Höhlen, die das Stadtbild zeichnen. In den 50er Jahren wurden die Einwohner der Sassi zwangsumgesiedelt, weil die Höhlensiedlungen ohne Strom und fließend Wasser als Schandfleck Italiens galten, der von der Landkarte verschwinden sollte. Menschen wohnten dort unter miserablen Bedingungen, gemeinsam mit ihren Tieren und bis zu einem Dutzend anderer Personen in einer Höhle. Lange stand die historische Altstadt leer und wird nun Stück für Stück wieder aufgebaut und belebt. Dank Projekten wie Sextantio, können die historischen Höhlen erhalten und wieder genutzt werden. Dabei wird viel Wert auf die authentische Restaurierung der alten Bausubstanz gelegt, dennoch befinden sich in den Hotelzimmer-Höhlen ausgeklügelte Heiz- und Lüftungssysteme. Man fühlt sich durch die Beleuchtung in den Gewölben mit vielen Kerzen und indirektem warmem Licht, die massiven Holzmöbel, antike Leinenstoffe und handgemachte Keramik, in eine andere Zeit versetzt. Eine schlichte Eleganz spiegelt sich in jedem noch so kleinen Detail wieder.
Nach einer einstündigen Autofahrt über kaputte Straßen und Baustellen landen wir endlich in Matera, dem ersten Ziel unserer Reise und dürfen plötzlich nicht weiterfahren. Nur mit Sondergenehmigung, die wir natürlich nicht haben. Nachdem wir uns durch die Einbahnstraßen dreimal im Kreis drehen, stellen wir das Auto in einer der alten Gassen ab, um uns zu Fuß einen Überblick zu verschaffen. Die nächste Seitenstraße führt uns in eine andere Welt. Vor uns liegt sie, die uralte Höhlenstadt. Es sieht so aus wie ein verschachteltes Konstrukt aus Steinhäusern, die in den Fels geschlagen, mit der Umgebung verschmelzen. Matera gehört zur süditalienischen Region Basilikata und ist bekannt für seine Altstadt, die zu einer der ältesten weltweit und damit zum UNESCO-Welterbe gehört. Sie besteht zu einem Großteil aus Höhlensiedlungen, den Sassi, in denen unzählige Felsenkirchen mit alten Wandmalereien zu finden sind. Wir streifen fasziniert durch die menschenleeren Gassen der Altstadt, die im Moment nur durch ein paar wehende Wäscheleinen und Kätzchen belebt scheinen. Die glatten Pflastersteine und eine lose Schuhsole führen bei Yannic zu einem ungeplanten Adrenalinschub und einigen blauen Flecken, als er die Straße herunterschlittert und sich naja, sagen wir es, wie es ist, erst einmal gehörig auf die Fresse legt. Aber auch das gehört wohl zu einer unvergesslichen Reise dazu und ist ein bisschen Tradition bei uns und das Zeichen, sich auf ins Hotel zu machen und die geschundenen Muskeln bei einem heißen Bad zu entspannen. Über das Hotel mit seinem besonderen Design, Sextantio Le Grotte Della Civita, haben wir die einzigartige Stadt überhaupt erst entdeckt.
Wir wollten uns dieses Mal also mehr auf den Austausch mit den Einheimischen und die Erkundung der kulinarischen Kultur beschränken und haben die Wanderschuhe zu Hause gelassen. Als wir den steinigen Weg zu einer großen Holzbrücke, die über ein zerklüftetes Flusstal führt, hinunterlaufen, merken wir schnell, dass das ein Fehler war. Die steinige Landschaft des Murgia ist beeindruckend schön, man kann dort stundenlang auf kleinen Pfaden herumwandern, um die Vielzahl an Höhlen und alten Kirchen zu bestaunen. Unser Abenteuerherz schlägt sofort schneller, auch wenn uns ein eiskalter, ungemütlicher Wind entgegenschlägt. Außerdem baut sich vor uns eine dunkelgraue Regenfront auf, die uns dann doch umkehren lässt. Nebelschwaden ziehen durch das Tal und lassen die Stadt noch verwunschener aussehen. Da wir das Fotografieren nicht lassen können und immer noch mehr Bilder einfangen, kommen wir komplett durchnässt zurück und wärmen uns erst einmal in unserer kuscheligen Höhle, bevor wir uns wieder an die Aufgabe machen, die traditionelle Küche Materas zu entdecken. Die Stadt bietet viele authentische Restaurants, die die regionalen Klassiker anbieten. Allerdings kann man nicht in Italien sein, ohne eine Hammer Pizza zu essen. Das gilt zumindest für Yannic und so besuchen wir erst einmal eine neapolitanische Pizzeria mitten in der Altstadt. Der Teig für die Pizza geht hier 48 Stunden und ist damit schon fast fermentiert, der Rand ist dick, außen knusprigen, innen schön weich und aromatisch. Auch in diesem Restaurant wird wieder viel Wert auf regionale Produkte gelegt. Auf einer Sonderkarte ist die Herkunft aller Grundzutaten aufgelistet und erklärt. In allen Restaurants, die wir besuchen, ist die Sorgfalt, mit der jedes Produkt ausgewählt wird, zu schmecken.
Es ist ein unglaubliches Gefühl mit dem großen, alten Schlüssel die schwere Holztür zu unserer Grotte aufzuschließen und in diese Welt einzutauchen. Der riesige Raum, ins Gestein geschlagen, mit seinen 7 Meter hohen Gewölbedecken, ist so beeindruckend und gemütlich, dass darüber sogar die Panoramaaussicht auf den Nationalpark Murgia in den Hintergrund rückt. Wir richten uns also erst einmal ein und heben uns den wunderbaren Ausblick für den nächsten Morgen auf. Wir genießen ihn ausgiebig auf dem Weg zum Frühstücksraum, einer der alten Höhlenkapellen. Jetzt kommt endlich der Hauptgrund für unsere Reise nach Italien, das Essen! Wir lieben die puristische italienische Küche, mit Fokus auf das Wesentliche: die guten Zutaten. Das hat sich auch beim Frühstück in der Grotte Della Civita widergespiegelt. Wir finden dort ausgewählte regionale Produkte, wie das Pane di Matera mit seiner ungewöhnlichen Form, das aus doppelt gemahlenem Hartweizengrieß gebacken wird. Das Korn dafür wird in Matera selbst angebaut und ganz speziell gelagert. Weitere regionale Spezialitäten wie Burrata und auch Focaccia, die mit Kartoffeln oder Tomaten belegt sind, dürfen auf dem Frühstücksbuffet natürlich nicht fehlen. Ebenso wenig die klassischen Gebäcke und Kuchen wie Crostata und Cantuccini. Mit einem frisch gepressten Orangensaft und dampfendem Tee lassen wir es uns schmecken. Da wir nicht stillsitzen können, machen wir uns direkt danach auf den Weg die Umgebung zu erkunden. Wir lieben die raue Natur, spüren gerne ihre enorme Kraft. Wir dachten, das würde uns bei dieser Reise etwas fehlen. Süditalien hat eine schöne Landschaft, aber man sieht viel flaches Land mit unzähligen Olivenbäumen. Wir wollten uns dieses Mal also mehr auf den Austausch mit den Einheimischen und die Erkundung der kulinarischen Kultur beschränken und haben die Wanderschuhe zu Hause gelassen.
Ein typisches Rezept sind Orecchiette alla pugliese, mit cima di rapa, einem Stängelkohl ähnlich wie Broccoli, dazu Knoblauch, Olivenöl und Chili, fertig. Wir essen allerdings nicht nur die klassische Variante, sondern auch Orecchiette in einer würzigen Kürbissauce, verfeinert mit Peperoni Cruschi. Das sind getrocknete Spitzpaprika, die in Olivenöl geröstet werden. Außerdem dürfen wir einen Blick in eine traditionelle Bäckerei werfen. Dort erfahren wir alles über die Zubereitung der Pane di Matera und sehen staunend dabei zu, wie hunderte Brote aus dem alten Ofen gezogen werden. Sorgfältig werden sie befühlt, manchmal gedreht und wieder an einen anderen Ort im Ofen zurückgeschoben, bis sie schließlich alle goldgelb sind und herrlich duften. Bei der Tour erfahren wir außerdem noch vieles über die Geschichte der Stadt. Die Wurzeln liegen noch viel weiter zurück, als wir dachten. Schon 9000 Jahre. Der Wahnsinn! Außerdem erfahren wir, dass Matera vor vielen Jahrtausenden unter dem Meeresspiegel lag. Wir denken an unseren alten Freund zurück und an die versteinerten Muscheln in der Hauswand. Sie müssen schon seit ewigen Zeiten dort im Gestein geschlummert haben, das dann zu seinem Heim wurde. Erst jetzt wird uns so richtig bewusst, dass er als Kind einer der Bewohner gewesen ist, die in die neu gebauten Außenbezirke der Stadt zwangsumgesiedelt wurden. Auch wenn viele der Menschen nicht mehr in die damals herrschenden ärmlichen Verhältnisse zurückwollten, so hat er scheinbar ganz besondere Erinnerungen mit der Zeit in den Sassi verbunden und in seinen Augen war der Stolz zu sehen, Teil dieser Geschichte zu sein. An unserem letzten Tag, einen Tag vor Weihnachten, wecken uns die ersten Sonnenstrahlen um 7.00 Uhr. Wir haben noch eine kleine Wanderung geplant um im passenden Licht zwei Fotos nachzuschießen. Danach wartet ein letztes Mal das wunderbare Frühstück auf uns. Wir stärken uns, packen unseren Krempel zusammen und machen uns auf, Richtung Ostuni, zum zweiten Teil unserer Italienreise.
In den 4 Tagen, die wir in Matera verbringen, streifen wir oft einfach durch die alte Stadt, bewundern sie aus allen Winkeln. Immer wieder stoßen wir auf scheinbare Sackgassen, die sich bei genauem Hinschauen als weitere Eckwege entpuppen. Ein Labyrinth aus Stein und Höhlen. Bei Tag, aber vor allem in der Dämmerung, ist die optische Täuschung perfekt. Wenn alles in einem sanften, dunklen Blau verschwindet und die ersten warmen Lichter angehen, bekommt die Stadt noch einmal einen ganz anderen Charme. An einem Abend wollen wir genau diesen Moment abpassen, um ein schönes Panorama der Stadt zu fotografieren. Doch dann schlurft ein alter Mann auf uns zu, zieht uns am Ärmel und gibt uns zu verstehen, ihm zu folgen, während er auf Italienisch auf uns einredet. Er scheint uns wohl etwas zeigen zu wollen. Wir folgen ihm, in der Hoffnung auf einen besonders guten Ausblick oder einfach eine spannende Geschichte. Der Himmel wird zwar immer dunkler, wir wollen aber nicht unhöflich sein und lassen uns von ihm immer weiter durch das Labyrinth der Gassen führen. Er zeigt beim Gehen auf Besonderheiten, wie eine altertümliche Katzenklappe, über die er lacht, oder die alten Regenrinnen in den Gassen. Er erzählt immer wieder vom Haus seiner Kindheit und zeigt jedes Mal eine weitere Treppe nach unten. Scheinbar dort angekommen, deutet er auf versteinerte Muscheln in einer Hauswand und erzählt uns auf Italienisch bestimmt viele spannende Dinge, die wir leider nicht verstehen. Irgendwann schaffen wir es uns von ihm zu verabschieden und hetzen schnell wieder die vielen Stufen zu unserem Aussichtspunkt nach oben, um das letzte Licht einzufangen. Dann ist wieder Zeit für Essen. Wir probieren so viele Spezialitäten wie möglich, zum Beispiel die klassischen Gebäckkringel Taralli und natürlich Orecchiette, die hier ihren Ursprung haben. Die Öhrchennudeln sind das kulinarische Symbol der Stadt Bari, werden aber in ganz Apulien und Umgebung gegessen und gelten sogar als Nationalgericht.